„Der Krisenzustand ist der neue Normalzustand“

Professorin Dr. Caren Sureth-Sloane forscht an der Universität Paderborn zu den Wirkungen der Besteuerung auf unternehmerische Entscheidungen sowie zur internationalen Unternehmensbesteuerung und Steuerkomplexität. Im Interview spricht die Ökonomin über Resilienz und wie diese Fähigkeit Unternehmen angesichts der Vielzahl aktueller Herausforderungen nützen kann.

Porträt Professorin Dr. Caren Sureth-Sloane

Frau Professorin Dr. Sureth-Sloane, herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen nehmen. Von Ihnen ging der Impuls aus, dass sich die Klasse für Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften in Zukunft interdisziplinär mit dem Thema Resilienz befassen könnte. Was ist mit diesem Begriff genau gemeint?
Resilienz steht für den Anspruch, unvorhersehbare, krisenhafte Ereignisse aller Art durch verbesserte Strategien, aber auch durch kurzfristige Flexibilität handhabbar zu machen.

Und warum ist diese Fähigkeit für Unternehmen gerade jetzt so wichtig?
Unternehmen stehen aktuell vor großen Herausforderungen. Spätestens mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs, den gestiegenen Inflationsraten und den Verunsicherungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten wird deutlich, wie fragil die Fundamente unserer Wirtschaft sind. Der Krisenzustand ist der neue Normalzustand und die Sorge wegen steigender Beschaffungs- und Energiekosten, Störungen internationaler Lieferketten sowie enormer regulatorischer Risiken ist groß.

Welche Rolle spielt Resilienz für Strategien zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in unternehmerischen Geschäftsmodellen?
Für den Erfolg von Nachhaltigkeitsstrategien ist es entscheidend, dass diese immer wieder angepasst werden. Damit Unternehmen die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Geschäftsmodells beurteilen und im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung steuern können, ist es wesentlich, Mess- und Berichtsstandards zu entwickeln. Nur so kann überprüft werden, ob die gesetzten Ziele unter den jeweiligen Rahmenbedingungen überhaupt erreicht werden. Solche Standards fehlen allerdings weitgehend. Das Fehlen von Standards beeinträchtigt aktuell die Bewertung und zielführende Nachjustierung von Maßnahmen.

Eine oder vielleicht sogar die größte Krise unserer Zeit ist der Klimawandel. Inwiefern nützt Unternehmen Resilienz bei der Bewältigung dieser gewaltigen Herausforderung?
Der Kampf gegen den Klimawandel – mit z. B. dem Ziel einer dekarbonisierten Gesellschaft –  hat einen Transformationsprozess der Wirtschaft angestoßen. Dieser Prozess bietet für die Unternehmen auch Chancen. Dies gilt im Grunde für alle Branchen, besonders für die CO2-intensiven Branchen wie die Stahlindustrie. Für viele Unternehmen sind frühzeitige Bestellungen, langfristige Lieferverträge und stärkere Kundenbindungen wichtige Eckpunkte, die zu einer besseren Planbarkeit und größerer finanzieller Stabilität auch in einem volatilen Marktumfeld und damit zu mehr Resilienz beitragen können.

Die angesprochenen Herausforderungen betreffen nicht nur die Wirtschaft. Ist Resilienz also ein Thema, das nicht nur für Ihre Disziplin, sondern auch für andere Fachrichtungen, vielleicht sogar außerhalb Ihrer Klasse, interessant ist?
Auf jeden Fall! Die aktuellen Krisen und Umbrüche stellen unsere gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen. Alle Bereiche unseres Lebens sind davon betroffen. Deshalb kann ich mir Resilienz auch sehr gut als Thema für eine so interdisziplinär zusammengesetzte Gemeinschaft aus Expertinnen und Experten wie unsere Akademie vorstellen. Dieses Thema fächerübergreifend zu diskutieren, wäre sicher ein sehr spannender Prozess und könnte dazu beitragen, die Herausforderungen noch umfassender aus unterschiedlichen Blickwinkeln anzugehen.