"The past as a key to the future" - Was können wir aus der terrestrischen Paläoklimaforschung lernen?

Prof. Dr. Thomas Litt, Universität Bonn

Kontinentale Sedimentfolgen aus rezenten oder fossilen Seen sind wichtige Archive für die Paläoökologie und Paläoklimatologie. Die in den Ablagerungen konservierten pflanzlichen Mikro- und Makrofossilien wie Pollen, Früchte und Samen können für die Rekonstruktion der Vegetationsgeschichte, aber auch des Paläoklimas genutzt werden. Dies ist besonders wichtig angesichts der Tatsache, dass wir nur für die letzten ca. 120 Jahre über instrumentelle meteorologische Messreihen verfügen, die es uns ermöglichen, über die Klimaentwicklung der letzten Jahrzehnte exakte Aussagen zu treffen. Für das Prozessverständnis über natürliche und anthropogen beeinflusste Klimaveränderungen sind jedoch lange Zeitreihen nötig. Das Klima der erdgeschichtlichen Vergangenheit können wir allerdings nur indirekt über Stellvertreterdaten (sog. Proxydaten, z.B. Isotopendaten oder paläobotanische Daten) rekonstruieren, die aus Eiskernen, Baumringen, Seesedimenten oder Moorablagerungen als Archive gewonnen werden. Entsprechende Archive sind nicht nur aus der Nacheiszeit (Holozän, Beginn vor 11.700 Jahren, bis heute), sondern auch aus den letzten Glazial-Interglazialzyklen überliefert. Besonders interessant ist der Vergleich der heutigen Warmzeit mit zurückliegenden Interglazialen (Eem-Warmzeit, 126.000-115.000 Jahre vor heute; Holstein-Warmzeit, 320.000-300.000 Jahre vor heute), wobei die Rekonstruktion der Umweltverhältnisse der drei Warmzeiten mittels Proxydaten erreicht wird. Botanisch-klimatologische Transferfunktionen ermöglichen überdies die Rekonstruktion von Parametern des bodennahen Klimazustands wie Temperatur und Niederschlag. Somit können Analogien, aber auch Kontraste herausgearbeitet werden zwischen den zurückliegenden Interglazialen, die nicht durch anthropogene Faktoren beeinflusst wurden, und der heutigen Warmzeit, in der der Mensch durch Ackerbau und Viehzucht bereits seit Jahrtausenden auf Umwelt und Klima einwirkt.

Thomas Litt studierte Ur- und Frühgeschichte, Geologie und Botanik an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg. Vor und nach der Promotion1987 im Fach Quartärgeologie an der Universität Greifswald war er am Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle tätig. Von 1990 bis 1993 arbeitete er als Habilitationsstipendiat am Institut für Geologische Wissenschaften der Universität Halle sowie bis 1994 als wissenschaftlicher Oberassistent am Institut für Geophysik und Geologie der Universität Leipzig. 1993 erhielt er den Credner-Preis der Deutschen Geologischen Gesellschaft. Nach Abschluss der Habilitation im Fach Allgemeine Geologie nahm er 1994 einen Ruf auf eine Professur für Paläobotanik an der Universität Bonn an.
Als Geowissenschaftler mit paläobotanisch-paläontologischem Schwerpunkt beschäftigt sich Litt mit Fragen der Wechselbeziehung zwischen Geosphäre und Biosphäre in der jüngeren Erdgeschichte. Hierbei nutzt er vor allem durch Bohrungen gewonnene Seesedimente als Archive für die Paläoökologie und Paläoklimatologie. In den letzten Jahren lag der Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeiten auf der Untersuchung langer kontinentaler Sedimentfolgen aus tiefen Seen im Nahen und Mittleren Osten, welche die Vegetations- und Klimageschichte der letzten Jahrhunderttausende lückenlos erfassen. Er leitete ein multidisziplinäres wissenschaftliches Bohrprogramm in der Türkei (Lake Van Drilling Project PALEOVAN) im Rahmen des „International Continental Scientific Drilling Program“ (ICDP). An komplementären Forschungen im Toten Meer in Israel war er ebenfalls beteiligt (ICDP Dead Sea Deep Drilling Project). Diese Paläoklimaarchive wurden im Sonderforschungsbereich 806 „Unser Weg nach Europa: Kultur-Umwelt Interaktion und menschliche Mobilität im späten Quartär“, dessen stellvertretender Sprecher Litt war, detailliert untersucht. 2015 erhielt er eine Lady Davis Fellowship verbunden mit einer mehrmonatigen Gastprofessur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 2023 ist er Teilprojektleiter in der DFG-Forschungsgruppe 5438 „Der urbane Einfluss auf dem Mongolischen Plateau: Verflechtungen von Stadtwesen, Wirtschaft und Umwelt“ (Expertise in Paläoökologie und Paläoklimatologie).
Thomas Litt ist seit 2020 ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Klasse für Naturwissenschaften und Medizin).