Cage, Schnebel u.a.: Experimentelle Musik in USA und Deutschland

Prof. Dr. Matthias Brzoska, Folkwang Universität der Künste Essen

Der Begriff „experimentelle Musik“ bezeichnet jene zufallsgesteuerten und nicht-werkhaften Kompositionen, mit denen John Cage 1958 bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik in die mathematisch geordnete Welt der Serialisten einbrach. Schon 1954 hatte er bei den Donaueschinger Tagen für Neue Musik sein Klavierstück „Music of Changes“ aufführen lassen, dass er mittels Zufallsoperationen aus dem chinesischen Orakelbuch Yi Jing komponiert hatte.

In der Folge etablierte sich auch in Deutschland experimentelle Musik als Alternative zur bislang vorherrschenden seriellen Kompositionstechnik. Ihr deutscher Hauptvertreter wurde Dieter Schnebel. Schnebel beschreibt experimentelle Musik als „Komponieren von vokalen und instrumentalen Aktionen“; von daher sind Berührungen zur Aktionskunst, zu Kunstformen wie dem Happening und zur Fluxus-Bewegung der 60er Jahre durchaus konstitutiv. Besondere Bedeutung erlangte die „Anthology“ des New Yorker Komponisten La Monte Young, die erstmals 1960 erschien und verschiedene Stücke von „Aktionsmusik“ verschiedener Komponisten enthielt, darunter „Motor Vehicle Sundown“ von George Brecht, eine Art Ballett für Autos.

Für Dieter Schnebel, der ursprünglich Pfarrer und Religionslehrer war, war die theologische Bedeutung seiner Werke zentral. Dass es sich bei vielen Werken um Kirchenmusik handelt, verdeutlichen schon Werktitel wie dt 31/6, Glossolalie, Missa est, AMN, Dahlemer Messe oder das erst posthum uraufgeführte Luther-Oratorium. Die Kirche bot dann auch einen oft Aufführungsraum für seine Werke.

Auch der pädagogische Nutzen seiner Musik war Schnebel ein besonderes Anliegen. So ist beispielsweise sein Zyklus „Movimento für bewegliche Musiker“ mit Kindern jeglicher Altersgruppe unabhängig von deren instrumentalen Fähigkeiten oder musikalischer Vorbildung aufführbar.

Der Vortrag analysiert einige Hauptwerke der experimentellen Musik anhand von Videomitschnitten aktueller Aufführungen, die der Verfasser in den USA, Deutschland und Österreich erarbeitete.

Prof. Dr. Matthias Brzoska, Deutscher Musikwissenschaftler, geb. 1955, studierte Musikwissenschaft bei Reinhold Brinkmann und Sieghart Döhring in Marburg sowie Romanistik bei Hermann Hofer. Meisterkurse in Komposition bei Hans Peter Haller im Experimentalstudio des SWF sowie bei Stockhausen. 1981 – 1986 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule der Künste Berlin für Musikwissenschaft und Assistent von Dieter Schnebel für Experimentelle Musik, Meisterkurs bei Nono. 1986 Promotion bei Carl Dahlhaus mit einer Arbeit über Franz Schreker. Anschließend als Stipendiat der DFG Durchführung eines Forschungsprojektes in Paris. 1992 Habilitation an der Universität Bayreuth mit einer Schrift über die Idee des Gesamtkunstwerks in Frankreich. Berufung zum Professor für Musikwissenschaft an der Folkwang Universität der Künste Essen (Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Operngeschichte, französische Musik, Musikästhetik in Frankreich und Deutschland, Experimentelle Musik). Mitarbeit an verschiedenen Forschungsunternehmungen und Lexika sowie an theaterpraktischen Projekten. Als Komponist Projekte in Experimenteller Musik (Aufführungen u.a. von Schnebel, Cage, la Monte Young, Nam June Paik). Herausgeber der kritischen Ausgabe von Meyerbeers Oper „Le Prophète“ (Ricordi), Mitherausgeber einer „Geschichte der Musik“ und Herausgeber des Nachdrucks der Schriften von Hector Berlioz (sämtlich bei Laaber). 2014 erhielt er den Orden eines „Officier des Palmes Académiques“ der République Française. 2011 wurde er Programmbeauftragter der Deutsch-Französischen Hochschule (Saarbrücken) für den bundesweit einzigen binationalen dt.-frz. BA- Studiengang „Musikwissenschaft/musique et musicologie“ der Universitäten Folkwang Essen und François Rabelais Tours. 2017 und 2018 war er Gastprofessor an der Shanghai Normal University. 2019 gab er Vorträge an der Stanford University und an der University of North Texas. 2020 war er Gastdozent an der Université de Montréal, Canada. 2023 erhielt er eine Gastprofessur für Komposition und Musikwissenschaft an der University of North Texas in Denton, TX, 2024 folgte eine Gastprofessur für Experimentelle Musik an der Kunst-Universität Graz.

Matthias Brzoska ist seit 2011 ordentliches Mitglied in der Klasse für Geisteswissenschaften der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.