In verschiedenen Programmpunkten näherten sich die Mitglieder des Jungen Kollegs gemeinsam mit Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen der Thematik. Sie beleuchteten, wie sich wissenschaftliche Narrative über die Zeit hinweg verändern, welche Folgen dies für Forschung, Lehre und gesellschaftlichen Wandel hat und unter welchen Bedingungen Wissenschaft Narrative beeinflussen kann, um nachhaltige Veränderungen zu fördern.
Persönliche Einstimmung auf das Thema durch künstlerische Intervention
Das Programm begann mit dem „Zeitparcours“ des Künstlers und Stipendiaten Darko Radosavljev, einer künstlerischen Intervention, die Alltagsgegenstände wie alte Festplatten, Trinkpäckchen oder einen Schlitten ins Zentrum stellte. Die Gäste waren eingeladen, auf Notizzetteln festzuhalten, welche Kindheitserinnerungen diese Gegenstände bei Ihnen wachrufen, welche Gedanken und Gefühle heute mit ihnen verbunden sind und worauf sich etwaige Veränderungen in der Wahrnehmung gründen.
Nach dieser sehr persönlichen Einstimmung auf das Thema Narrative wurde die Veranstaltung formell durch Prof. Dr. Birgitta Wolff, Rektorin der Bergischen Universität Wuppertal und Sprecherin von Humboldtn, Dr. Fabian Schulz, Generalsekretär der Akademie, sowie Dr. Elisabeth Kreidt und Dr. Carolin Gebauer vom Jungen Kolleg eröffnet. Der wissenschaftliche Veranstaltungsteil begann mit einer kurzen Einführung in das Thema Narrative aus der Perspektive der Literatur- und Kulturwissenschaften durch Dr. Carolin Gebauer. Es folgten zwei 45-minütige Diskussionsrunden, in denen sich die Rednerinnen und Redner mit den Veränderungen wissenschaftlicher Narrative und deren Auswirkungen auf das Wissenschaftssystem und auf Potenziale und Grenzen von Wissenschaft für die Veränderung gesellschaftlicher Narrative konzentrierten.
Mitglieder des Jungen Kollegs diskutierten mit Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen
Auf dem Podium diskutierten:
Dr. Britta Acksel, Wuppertal Institut,
Dr.-Ing. Felix Martin, Mitglied des Jungen Kollegs und Architekturhistoriker an der RWTH Aachen,
Prof. Dr. Rainer Bromme, Senior-Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Münster,
Prof. Dr. Till Bruckermann, Professor für Lehr-Lernforschung an der Leibniz Universität Hannover,
Dr. Britt Schlünz, Max-Planck-Institut für Geoanthropologie Jena,
PD Dr. Lena Tacke, Mitglied des Jungen Kollegs und Professorin für Religionspädagogik an der RWTH Aachen
Die Diskutierenden brachten ihre persönlichen Perspektiven und fachlichen Expertisen in die Diskussion ein. Zum Ende der Veranstaltung fasste Birgitta Wolff die Erkenntnisse aus den Diskussionsrunden in einem Statement zusammen:
In der Forschung müssen Veränderungen aus ihrer Sicht strikt wissenschaftsgeleitet erfolgen, während gesellschaftliche Narrative sich häufig als Antwort auf neue Herausforderungen und geänderte Rahmenbedingungen wandeln. Nur so könne Wissenschaft auch weiterhin eine verlässliche Quelle sein. Ihre Narrative beruhen auf überprüfbarer Erkenntnis und nicht auf bloßen Behauptungen. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von gesellschaftlichen Narrativen, die oft nicht denselben methodischen Prüfungen standhalten müssten.
Gleichzeitig ist laut Birgitta Wolff Vorsicht geboten: Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler würden persönliche Narrative in ihre Arbeit hineintragen. Diese müssten explizit gemacht werden, um methodische Entscheidungen – etwa im Kontext von Nachhaltigkeit – nicht auf unreflektiertem Aktivismus aufzubauen. In diesem Zusammenhang werde die Normativität von Entscheidungen sichtbar: Jede Forschungsfrage und jede Methodik sei auch eine Setzung, die Auswirkungen auf die Ergebnisse habe.
Auf der anderen Seite sei zu bedenken, dass Wissenschaft nicht losgelöst von gesellschaftlichen Narrativen, sondern Teil dieser Dynamik ist: Sie könne als Spiegel, Antwort oder Korrektiv wirken und damit selbst Transformation anstoßen.
Ein möglicher Weg, beide Sphären enger miteinander zu verbinden, sei die „Citizen Science“, so die Sprecherin von Humboldtn. Sie verändere nicht nur Forschungsansätze und Ergebnisse, sondern beeinflusse auch das Leben der beteiligten Bürgerinnen und Bürger. Zwar sei Citizen Science kein Konzept, das für alle Zielgruppen und Forschungsrichtungen gleichermaßen funktioniere, aber es verdeutliche, wie Wissenschaft auf geänderte Rahmenbedingungen reagieren könne. So zeige die Citizen Science exemplarisch, dass Wissenschaft selbst veränderungsbereit ist – und gerade dadurch ihre Relevanz in einer sich wandelnden Gesellschaft bewahrt.