Rückblick auf die Veranstaltung Encounters 2025

„Wir werden uns gemeinsam bewegen.“ Dieser Satz zur Eröffnung der zweiten Encounters-Veranstaltung des Jahres, sollte an diesem Abend nicht nur wörtlich zu verstehen sein, sondern auch als geistiges und ästhetisches Leitmotiv: als Wechsel von Raum zu Raum, Medium zu Medium, Thema zu Thema – und als gemeinsames Nachdenken über Verantwortung, Zukunft und die materiellen Grundlagen unserer Gegenwart.

 

In ihrer Begrüßung lud Elisabeth Kreidt, Sprecherin des Jungen Kollegs der Akademie der Wissenschaften und der Künste NRW, das Publikum ein, sich auf eine Reise durch sechs sehr unterschiedliche künstlerische Positionen einzulassen. Die Akademie selbst wurde dabei zum Resonanzraum für Begegnungen zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Als Moderatorin führte Kreidt die Besucherinnen und Besucher von Station zu Station und schuf so einen Abend, der den Dialog zwischen Disziplinen und Denkweisen auf besondere Weise erlebbar machte.

Bereits vor einer kurzen Einführung begann der Abend im Foyer – dort, wo die erste Position die Besucher:innen schon erwartete.

1. Configuration Drift – Viktor Brim & Emerson Culurgioni

Die kollaborative Arbeit Configuration Drift eröffnete den Abend mit einer stillen Wucht. Auf mehreren Bildschirmen und in einem immersiven Raumsetting entfaltete sich ein visuelles Essay über die materiellen Grundlagen der digitalen Welt. Was auf den ersten Blick wie eine filmische Meditation über Landschaften anmutete, entpuppte sich schnell als präzise kartierte Analyse globaler Ausbeutungsverhältnisse.
Viktor Brim und Emerson Culurgioni nahmen das Publikum mit auf eine Reise durch vier geographische Knotenpunkte in Südostasien – von den Nickelminen auf Sulawesi über die LYNAS-Anlage zur Verarbeitung seltener Erden, bis hin zu den hypermodernen Rechenzentren in Johor. Mit Hilfe von Drohnenaufnahmen, 3D-Visualisierungen und dokumentarischem Material legten sie offen, wie stark unsere vermeintlich „immateriellen“ digitalen Infra-strukturen auf der Ausbeutung realer Landschaften und Körper beruhen.

Die kinematische Sprache der Arbeit verband technische Präzision mit poetischer Distanz. So wurde sichtbar, dass der Traum von der Cloud nichts anderes ist als ein Netzwerk aus Erz, Energie und geopolitischer Ungleichheit. Configuration Drift dekonstruiert den Mythos der künstlichen Intelligenz als entmaterialisierte Macht – und zeigt, dass sie buchstäblich auf ausgebeuteten Terrains errichtet ist.

2. End of the Wall – Laurentia Genske

Von den Rechenzentren Südostasiens führte die zweite Station des Abends in eine ganz andere, aber ebenso politisch aufgeladene Landschaft: das Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA. In End of the Wall präsentierte die Filmemacherin Laurentia Genske Ausschnitte und Einblicke aus ihrem dokumentarischen Projekt, das in der Sonora-Wüste entstand.

Die Kamera folgt der Mauer, die sich als rostbraune, neun Meter hohe Barriere durch das Gestein zieht – bis sie plötzlich endet. Dort, am sogenannten „End of the Wall“, treffen sich die Wege von Migrant:innen, humanitären Helfer:innen, Schmuggler:innen und Grenzpoli-zist:innen. Genske verknüpft Beobachtungen mit eindrücklichen Landschaftsbildern, die die Härte der Wüste ebenso zeigen wie die Fragilität menschlicher Hoffnung.

Besonders berührend war die Schilderung ihrer Zeit im Camp der freiwilligen Helfer:innen. Hier wird sichtbar, was es bedeutet, wenn staatliche Abschreckungsstrategien – prevention through deterrence – Menschen buchstäblich in lebensfeindliche Zonen drängen. Die Wüste wird zur Grenze, zur Falle, zur Zeugin politischer Gleichgültigkeit.

Genskes filmischer Ansatz verbindet politische Dokumentation mit poetischer Beobachtung: Ohne Pathos, aber mit großer Empathie für die Menschen, deren Schicksal oft im Staub der Grenzpolitik verschwindet.

3. Elternzeiten – Darko Radosavljev

Mit Elternzeiten von Darko Radosavljev wechselte die Veranstaltung von der Projektion zur körperlichen Präsenz: einem choreografischen Quartett (Darko Radosavljev, Stsiapan Hurski, Lena Tacke, Senem Gökce Ogultekin), das Elternschaft, Verantwortung und Fürsorge als ästhetische wie existentielle Fragen behandelt.

Ausgehend von der vertrauten Kinderliedzeile „Sandmann, lieber Sandmann…“ entwickelt Radosavljev ein Spiel zwischen Vergangenheit und Zukunft, Intimität und Dringlichkeit. Die Tänzer:innen bewegten sich durch das Foyer, manchmal ausgelassen tobend, dann wieder zögernd, als suchten sie Halt in einer unsicheren Zeit.

Radosavljev verbindet installative Momente mit Musikfragmenten aus traditionellen Kinderliedern, deren Texte – im Kontrast zum den heutigen Krisenbewusstsein – fast surreal friedlich wirken. Dazwischen klangen Fragen an: „Willst du eine Familie?“ oder „Was bedeutet Familie- und Elternsein heute?“ Diese Fragen hallten nicht nur im Raum, sondern auch im Publikum nach.

Die Performance zeigte eindrucksvoll, wie persönliche Lebensentscheidungen mit ökonomischen, ökologischen und politischen Entwicklungen verwoben sind. Elternschaft wurde hier nicht als Privatsache, sondern als gesellschaftliche Haltung verhandelt – und Tanz und Bewegung als Sprache des geteilten Nachdenkens.

4. Green Noise – MINT MODE

Im Kongresssaal folgte die Live-Musik- und Multimedia-Performance Green Noise, ein Projekt des Duos MINT MODE. Das 25-minütige Set verband elektronische Musik, Field Recordings und audio-reaktive Projektionen zu einem synästhetischen Erlebnis.

Die Künstler:innen untersuchten das Phänomen der noise pollution – der allgegenwärtigen Lärmverschmutzung – als ästhetisches und ökologisches Problem. Zwischen pulsierenden Beats und flirrenden Projektionen aus urbanen und natürlichen Klanglandschaften entstand ein Spannungsfeld: der Klang der Stadt gegen das Schweigen der Natur.

Green Noise war nicht nur eine Performance, sondern auch eine Einladung zum bewussten Zuhören. Der Lärm der Gegenwart – Verkehr, Maschinen, Stimmen, Baustellen – wurde in Kunst verwandelt, um die eigene Wahrnehmung zu schärfen. Die Musiker:innen verstanden Klang als Material, das gleichermaßen verbindet und entfremdet, heilt und überfordert.

Das Publikum erlebte, wie Klang und Texte sowohl Träger von Information als auch Ausdruck gesellschaftlicher Zustände sein kann: Ein künstlerischer Appell für mehr Achtsamkeit im Hören und im Handeln.

5. Akademie und Verrat. Von der Nachhaltigkeit der Nachhaltigkeit – Lecture Performance

Mit der anschließenden Lecture Performance nahm der Abend eine reflexive Wendung. In essayistischer Form wurde die Akademie selbst zum Gegenstand der Betrachtung: Was bedeutet es heute, Teil einer Institution zu sein, deren Geschichte ebenso von Wissensproduktion wie von Machtverstrickung erzählt?

Ausgehend vom mythischen Verrat des Akademos, jenem Gründungsmoment der Akademie, in dem Rettung und Verrat untrennbar verbunden sind, entwickelte die Performance ein dichtes Netz aus Fragen: Was heißt „Nachhaltigkeit“, wenn die Strukturen, die sie propagieren, selbst auf Ausbeutung beruhen? Kann man retten, ohne zu verraten – oder muss man gerade durch Verrat retten?

Der Vortrag verband philosophische Überlegungen mit poetischen Einschüben, wodurch eine Nachdenklichkeit entstand, die weit über ökologische Diskurse hinausreichte. Die Akademie erschien als Ort, an dem Verrat produktiv werden könnte – als bewusste Abkehr von Selbstverständlichkeiten und -gefälligkeit, als Akt des verantwortlichen Neudenkens.

6. Ein zarter Umbruch – Esther Murdock

Den Abschluss bildete Ein zarter Umbruch, eine ortsspezifische Performance von Esther Murdock mit den Tänzerinnen Jennie Boultbee und Narumi Saso sowie Musik von Lawrence Wilde.
Zwischen Konferenzraum, Flur und Foyer entstand ein choreografischer Dialog zwischen Körper und Raum. Die Tänzerinnen nutzten die Architektur der Akademie – die festen Tische, Sessel, Wände des Diskussionssaales – nicht als Kulisse, sondern als Mitspieler. Aus Dissonanzen entstanden Resonanzen, aus Begrenzung Offenheit.

Murdocks Arbeit thematisierte die Hierarchien von Raum und Bewegung, die unsere alltäg-lichen Verhaltensmuster prägen. Durch präzise Gesten und improvisierte Übergänge öffneten sich Momente der Überraschung und des Miteinanders. Die elektronische Komposition von Wilde und der Live-Gesang Murdocks schufen dabei eine Atmosphäre, die zwischen In-timität und Aufbruch schwebte.
Der Titel Ein zarter Umbruch erwies sich als treffende Metapher für den gesamten Abend: ein leises, aber bestimmtes Infragestellen von Gewohnheiten, Hierarchien und Wahrnehmungen. Epilog – Begegnung, Bewegung, Bewusstsein

Nach der letzten Performance versammelten sich Publikum, Künstler:innen und Organisator:innen zum gemeinsamen Austausch. Zwischen den Tischen und Wänden, die gerade noch Bühne gewesen waren, mischten sich Stimmen und Eindrücke.

Was Encounters 2025 auszeichnete war nicht nur die Vielfalt der Beiträge, sondern ihre gemeinsame Haltung: die Bereitschaft, komplexe Fragen offen zu halten. Jede Arbeit – ob filmisch, performativ oder musikalisch – stellte eine Einladung dar, neu zuzuhören, hinzusehen, mitzudenken.

So wurde die Akademie an diesem Abend zu einem Ort des Austauschs und der Verunsicherung im besten Sinne: einer Bewegung durch Räume, Klänge, Gedanken – und durch die Zeit.

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