Neue Projekte im Akademienprogramm: Interview mit Professor Dr. Jan Bemmann, Leiter des Forschungsvorhabens „Limes und Legion“

„Ohne ein starkes und erprobtes Netzwerk kann solch ein ambitioniertes Projekt nicht gelingen“, sagt Professor Dr. Jan Bemmann. Mit uns hat der Bonner Archäologe darüber gesprochen, warum die Vernetzung mit dem LVR-LandesMuseum Bonn und dem LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland aus seiner Sicht der Schlüssel zum Erfolg ist und was ihn persönlich an der Erforschung des Niedergermanischen Limes, der rund 400 Kilometer langen Außengrenze des Römischen Reiches, fasziniert.

Porträt Professor Dr. Jan Bemmann

Jan Bemmann ist Professor für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Bonn. Foto: Studio Schafgans in Bonn

Lieber Herr Professor Bemmann, Sie erhalten für Ihr Forschungsvorhaben „Limes und Legion - Die Wirkmächtigkeit römischer Militärpräsenz am Niedergermanischen Limes. Edition und Interpretation archäologischer Quellen“ rund zehn Millionen Euro aus dem Akademienprogramm für einen Zeitraum von 18 Jahren. Das ist ein gewaltiger Betrag und eine sehr lange Zeit. Wie plant man ein Projekt in dieser Größenordnung?

Die ersten noch unspezifischen Planungen reichen weit zurück und fußen auf einer Analyse des wissenschaftlichen Potentials archäologischer Quellen im Rheinland, die Michael Schmauder mit mir durchgeführt hat. Dabei trat deutlich zutage, dass die Militärstandorte am Niederrhein ein hohes Potential aufweisen und zugleich ein enormer Nachholbedarf in Bezug auf die Aufarbeitung der bereits ausgegrabenen Quellen besteht. Das hohe Volumen an zu edierenden Quellen und die Notwendigkeit eines langfristigen Engagements haben zu einer Antragstellung im Akademienprogramm geführt. Uns sind dann bei der konkreten Vorbereitung des Projektes vor allem zwei Initiativen zur Hilfe gekommen. Zum einen startete das LVR-LandesMuseum Bonn eine Kampagne zur detaillierten Erfassung der Großgrabungen im Bonner Legionslager und zum zweiten gab es zur Vorbereitung des UNESCO-Welterbeantrages „Niedergermanischer Limes“ eine ganze Reihe von Maßnahmen, die klar erkennen ließen, wie hoch der Handlungsbedarf ist und wo konkret angesetzt werden müsste. Dies hat dazu geführt, dass wir von allen Seiten bereitwillige und großzügige Unterstützung erfahren haben.

Der Niedergermanische Limes gilt mit seinen Fundplätzen als eines der bedeutendsten archäologischen Zeugnisse römischer Grenzen. Die UNESCO hat ihn 2021 in die Liste ihrer Welterbestätten aufgenommen. Was fasziniert Sie persönlich an dieser rund 400 Kilometer langen Außengrenze des Römischen Reiches?

Für mich ist die Diskrepanz zwischen moderner Erwartungshaltung an den Niedergermanischen Limes und von uns erschlossener antiker Realität im Moment das spannendste Feld. Erwartet wird eine lineare befestigte Grenze, wie wir sie insbesondere vom Obergermanisch-Rätischen Limes in Süddeutschland und vom Hadrians Wall in England kennen. Ganz anders die Situation am Niederrhein mit Kristallisationspunkten römischer Macht, einer breiten Kontaktzone beiderseits des Rheins und einer regen Mobilität über den Fluss hinweg. Man darf sich diesen Grenzbereich sicherlich viel dynamischer und fließender vorstellen als er häufig gedacht wird.

Sie arbeiten bei diesem Forschungsvorhaben eng mit verschiedenen Museen im Rheinland zusammen. Das LVR-LandesMuseum Bonn ist sogar Mitinitiator. Ist diese starke Vernetzung ungewöhnlich und warum ist sie wichtig für den Erfolg Ihrer Arbeit?

Die Vernetzung und die jahrzehntelange erfolgreiche und vertrauensvolle Zusammenarbeit, insbesondere mit dem LVR-LandesMuseum Bonn sowie mit dem LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, ist der Schlüssel zum Erfolg. Moderne Forschung in den Archäologien findet in der Regel im Verbund statt. Es wird eine Vielzahl an ganz verschiedenen Expertisen benötigt, von der Numismatik über Epigraphik, Alte Geschichte, Restaurierungswissenschaften, Datenmanagement, Bioarchäologie, Lipidanalysen u.a.m., sowie der unproblematische Zugang zu verschiedenen Archiven. Ohne ein starkes und erprobtes Netzwerk kann solch ein ambitioniertes Projekt nicht gelingen und wir sind den Kolleginnen und Kollegen sowie den verschiedenen Einrichtungen, die uns in der Vorbereitung geholfen haben und zukünftig begleiten werden, enorm dankbar.

Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Stellen Sie sich vor, jemand schreibt in 18 Jahren einen Abschlussbericht für Ihr Projekt. Welche Forschungserkenntnisse hoffen Sie dort lesen zu können?

Zuallererst hoffe ich, dass es den jungen Kolleginnen und Kollegen gelungen sein wird, eine Vielzahl wichtiger Ausgrabungen zu edieren. Dies ist eine Kernaufgabe des Projektes. Aber natürlich sind bahnbrechende Erkenntnisse das Salz in der Suppe und beflügeln alle Mitwirkenden. Ich erwarte, dass sich das Verständnis zu den römischen Militärstandorten am Niederrhein dahingehend verändert, dass ihre infrastrukturelle Wirkung viel stärker in den Blick gerät, ihre enge Verbindung zu den zahlreichen Produktionsstandorten und ihre traditionsbildende Kraft für das Frühmittelalter. In der älteren Forschung stand traditionell die Organisation und Ausrüstung des Militärs im Vordergrund. Heute beschäftigen uns stärker die zivilgeschichtlichen Aspekte, wie z.B. Fragen nach der Rolle des Militärs als Motor für die regionale Wirtschaftsentwicklung und technische Innovationen. Die Legionsstandorte am Niederrhein bieten die besten Voraussetzungen, solche weiterführenden Fragestellungen beantworten zu können.
Darüber hinaus verspreche ich mir wesentlich neue Erkenntnisse vom Einsatz naturwissenschaftlicher Analysen im Hinblick auf Ernährung, Mobilität und Gesundheit. Die Analyseverfahren werden stetig verbessert, neue treten hinzu, so dass wir bis 2040 sicherlich Überraschendes erwarten können. Ganz persönlich wünsche ich mir, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Projekt unabhängig von den Vorgaben der Antragsteller eigene Ideen und neue Ansätze entwickeln und verfolgen werden. Dann wird es richtig spannend.