Kleine Kunst mit großer Wirkung

Christiane Löhr zeigt ihre Werke in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Die Ausstellung wird im Rahmen der Jahresfeier am 10. Mai eröffnet. Wir haben die Künstlerin, die seit 2020 Mitglied der Akademie ist, in ihrem Kölner Atelier besucht.

Porträt der Künstlerin Christiane Löhr

Foto: Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste / Engel-Albustin 2023

Auf dem Tisch liegt ein halbkugelförmiges Gebilde. Es besteht aus rötlich und golden schimmernden Verästelungen. „Das sind Blüten des Perückenstrauchs“, erklärt Christiane Löhr. Die zarten Blütenstängel wirken fest miteinander verbunden, dabei hat sie die Künstlerin nur zusammengesteckt. Christiane Löhr, die teils in Köln und teils mit ihrem italienischen Partner in der Toskana lebt, verzichtet auf Hilfsmittel wie Kleber. Für ihre Skulpturen arbeitet sie ausschließlich mit Materialien, die sie in der Natur findet. Ihre Werke bestehen aus Samen, Blüten, Gräsern oder Tierhaaren. „Alles, was mich umgibt, kann zu Kunst werden“, sagt sie.

Ihre Skulpturen laden zum Verweilen und Beobachten ein. Wer verstehen will, wie es der Künstlerin gelungen ist, winzige Efeu-Samen so zusammenzustecken, dass sie wie in die Höhe wachsende Berge wirken, muss sich Zeit nehmen. „Meine Arbeiten haben keine Tricks. Es gibt keine versteckten Gerüste oder Halterungen. Wenn man genau hinschaut, kann man die Vorgehensweise verstehen“, sagt die Künstlerin. Vielleicht ist es das, was die Werke von Christiane Löhr so faszinierend macht. Vielleicht ist es aber auch dieser scheinbare Gegensatz aus Stabilität und Leichtigkeit. Man hat den Eindruck, dass ein kleiner Windstoß ausreichen würde, um die Blütenskulptur vom Tisch zu wehen. Dass sie dabei zerbrechen könnte, kommt einem nicht in den Sinn. Die Skulptur wirkt stabil und elastisch.

Einige Skulpturen messen nur wenige Zentimeter

Trotzdem war es diese Frage nach der Beständigkeit, die Christiane Löhr vor allem als junge Künstlerin vor große Herausforderungen gestellt hat. Immer wieder wurden von Kaufinteressierten Bedenken geäußert, wie lange die Skulpturen halten würden. Heute begegnet die Künstlerin, deren Arbeiten nicht nur in Europa, sondern auch in Japan und den USA gefragt sind, dieser Skepsis mit Gelassenheit. Nach frühen Nachforschungen mit Botanikprofessoren lautet ihre Antwort: „100 Jahre wird es schon halten.“

Die Verletzlichkeit und Fragilität ihrer Werke aus organischen Elementen ist ihr dennoch gegenwärtig. Hinzu kommt, dass ihre Skulpturen im Unterschied zu ihren Zeichnungen recht klein sind. Einige messen nur wenige Zentimeter, was auch an der Beschaffenheit der verwendeten Materialien liegt. Gerade in großen, wenig verwinkelten Räumen, vielleicht noch mit glatten Betonwänden, ist es nicht einfach, den Arbeiten Präsenz zu geben. Mit anderen Materialien zu arbeiten, kam für Christiane Löhr aber nie in Frage. Sie arbeitet intuitiv und tut das, was sie eben tun muss.

Christiane Löhr entdeckt ihre Arbeitsmaterialien oft per Zufall

Das Interesse an den kleinen Dinge in der Natur war schon lange da, als die gebürtige Wiesbadenerin Meisterschülerin von Jannis Kounellis wurde. Die Künstlerin wuchs in Koblenz auf, wo sie mit ihrem Pferd regelmäßig in den Mittelgebirgen an Rhein und Mosel unterwegs war. Aus Kletten, die sich in der Mähne des Tieres verfangen hatten, formte sie ihre ersten Skulpturen. Bis heute entdeckt Christiane Löhr ihre Arbeitsmaterialien oft per Zufall und im Vorbeigehen, das kann bei einem Spaziergang durch die Natur genauso passieren, wie auf dem Weg zur U-Bahn.

Dass sie etwas mit ihren Händen erschaffen wollte, wusste die Rheinländerin schon immer. In einem Beamtenhaushalt aufgewachsen, entschied sie sich zunächst für ein Lehramtsstudium der Kunst. „Was es bedeutet, freier Künstler zu sein, musste ich mir erst erarbeiten“, erklärt sie. Ihr Weg führte über den Fachbereich Bildende Kunst in Mainz an die Kunstakademie in Düsseldorf. „In der Ausbildung habe ich festgestellt, dass ich es spannend finde, mit einem Material zu arbeiten, das mir Bedingungen vorgibt, mit dem ich zusammen etwas austesten und zu einer skulpturalen Lösung kommen kann“, erzählt die Künstlerin.

Mit ihren Werken nimmt sie Bezug auf die Eigenheiten des Gebäudes

Es ist dieser Entstehungsprozess, der Christiane Löhr bis heute interessiert; nicht nur bei ihren eigenen Arbeiten, sondern auch bei den Werken anderer Künstlerinnen und Künstler. Aus welchem Impuls heraus und mit welchem Antrieb hat ein Künstler ein Werk geschaffen? Diese Frage stellt sich Christiane Löhr, sie überträgt sie auf andere gesellschaftliche Bereiche wie die Politik oder die Wissenschaft und auch bei ihrer Ausstellung in der Akademie steht sie im Fokus. „Beim Blick auf meine Arbeiten ist mir aufgefallen, dass es sehr viele Werke gibt, die eine Kreisform haben“, sagt sie. Die Motivation, aus der heraus sie diese Form geschaffen habe, sei aber bei jeder Skulptur eine andere gewesen.

Das ist jedoch nicht der einzige Grund, warum sie diese Arbeiten, die aus unterschiedlichen Phasen ihres Künstlerinnenlebens stammen, für die Ausstellung ausgewählt hat. Im Gebäude des Architekten Schwippert von 1960 befinden sich prägnante kreisrunde Lampenformen und Lüftungsschächte an den Wänden, auf die sie mit ihren Werken Bezug nimmt. Auch die neu entstandene, halbkugelförmige Skulptur aus den Blüten des Perückenstrauchs wird dabei sein. Christiane Löhr bevorzugt allerdings den italienischen Namen der hier verarbeiteten Pflanze. Nebelstrauch nennen ihn die Italiener, was dem Gewächs mit seinen mystisch schimmernden Blütenständen aus Sicht der Künstlerin viel gerechter wird.