Dritter ERC-Grant: Evolutionsbiologe Prof. Dr. William Martin erhält Förderung zur Erforschung der Entstehung des Lebens

Prof. Dr. William Martins Forschung befasst sich mit den Anfängen des Lebens auf der Erde. Zum dritten Mal konnte er nun einen ERC Advanced Grant einwerben – rund 2,5 Millionen Euro Förderung erhält der Leiter des Instituts für Molekulare Evolution der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) damit vom European Research Council (ERC) für sein Projekt zur Entstehung der ersten lebenden Zellen vor rund vier Milliarden Jahren. Seit 2007 ist Martin ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

Portraitfoto William Martin, Professor für Evolutionsbiologie Universität Düsseldorf

© HHU / Verena Zimorski

Prof. Martin, erst einmal Glückwunsch zum dritten eingeworbenen ERC-Grant – eine beeindruckende Leistung!

Herzlichen Dank!

Ihr Forschungsgebiet ist die Evolutionsbiologie, Sie beleuchten die Anfänge des allerersten Lebens auf der Erde. Können Sie – für uns Laien verständlich – umschreiben, was das Ziel des Projektes ist, das nun vom European Research Council gefördert wird?

In meinem Projekt geht es um die ganz, ganz frühe Evolution von den ersten chemischen Reaktionen, aus denen das Leben entstand, bis hin zur Erforschung der Lebensweise der ersten freilebenden Zellen. Man fragt sich natürlich, wie das denn gehen soll, zumal das Leben nur einmal auf unserer Erde entstanden ist – und zwar vor ca. vier Milliarden Jahren. Ich habe dazu drei Teilprojekte entwickelt, die uns in der Frage weiterbringen könnten. Alle drei Teilprojekte prüfen die These, dass das Leben an Tiefseehydrothermalquellen hätte entstehen können.

Im ersten Teilbereich geht es um die Katalyse. Die chemischen Reaktionen des Stoffwechsels, die den gesamten Lebensprozess vorantreiben, werden heute in allen Lebewesen durch Enzyme katalysiert. Bei Bakterien wie bei Menschen, brauchen Zellen rund 1000 Enzyme, um die Grundversorgung der Zelle zu gewährleisten: die Synthese der chemischen Bausteine der Zelle sowie die Bereitstellung der vom Stoffwechsel benötigen Energie. Diese 1000 Enzyme sind Katalysatoren. Sie beschleunigen jeweils eine spezifische Reaktion im Stoffwechsel, so dass der gesamte Stoffwechsel funktioniert. Die spannende Frage ist dann: Wie kann der Stoffwechsel bloß entstanden sein, bevor es Enzyme gab? Hydrothermalquellen haben dahingehend eine ganz besondere Chemie, in dem sie von sich aus molekularen Wasserstoff, H2, produzieren, und zwar in riesigen Mengen. Dieser H2 verändert die dort vorkommenden Mineralien. In der Chemie sagt man, sie werden reduziert. Wir haben einige Mineralien im Visier, von denen wir durch eigene Vorarbeiten wissen, dass sie wichtige Reaktionen im Stoffwechsel primitiver Lebensformen (Prokaryoten) katalysieren können. Diese Fähigkeit wollen wir nun in der Breite untersuchen: Für wie viele Reaktionen des Grundstoffwechsels können Enzyme durch einfache Mineralien aus Hydrothermalquellen ersetzt werden? Das Ergebnis wird uns Auskunft darüber geben, inwiefern der Stoffwechsel als natürliches Produkt geochemischer Reaktionen verstanden werden kann.

Der zweite Teilbereich wird von der Grundidee geleitet, dass wichtige Spuren aus der Entstehung des Lebens im Stoffwechsel selbst erhalten sind. Um diese Spuren zu lesen, müssen wir einerseits die richtige Lupe hinzuziehen, andererseits müssen wir die richtigen Zellen ins Visier nehmen. Was die richtigen Zellen betrifft: Wir haben schon in Vorarbeiten zeigen können, dass bestimmte Einzeller, die sich von H2 und CO2 ernähren, wohl zu den primitivsten Lebensformen gezählt werden können, die man kennt. Jene Eigenschaft, zusammen mit dem gehäuften Vorkommen von Eisen und Nickel in ihren Enzymen, lässt für das geschulte Auge deutliche Ähnlichkeiten mit Reaktionen in Hydrothermalquellen erkennen. Was passiert also, wenn wir den Grundstoffwechsel dieser primitiven Zellen im Computer simulieren, und zwar nicht unter den milden Bedingungen des Zellinneren, sondern unter den Bedingungen der freien Natur? So können wir Auskunft darüber erhalten, was für Umweltbedingungen an dem Ort geherrscht haben, wo der Stoffwechsel entstand. War es heiß oder kalt, war das Milieu basisch oder sauer, war Licht erforderlich oder hätte der Stoffwechsel im Dunkeln entstehen können? Vor allem: Woher kam die Energie, die das Reaktionsgeschehen vorantrieb? Antworten auf diese Fragen können unser Verständnis der Entstehung des Stoffwechsels bereichern und neue Forschungsperspektiven eröffnen.

Im dritten Teilbereich geht es darum, die Lebensweise der ersten Zellen genauer zu ergründen. Wir haben schon vor einigen Jahren sehr interessante Erkenntnisse zur Lebensweise und zum Habitat des gemeinsamen Vorfahren allen Lebens (LUCA: engl. last universal common ancestor) aus Genstammbäumen erhalten. Jetzt geht es darum, die Entstehung wichtiger Bestandteile der Energiekonservierung, den sogenannten Cytochromen, besser zu verstehen. Diese orangefarbenen Pigmente sind sehr wichtig für alle Atmungsketten. Ihre Farbe verdanken sie dem Häm, dem eisenhaltigen Farbstoff roter Blutzellen. Hier steht der Ursprung der Cytochrom-Biosynthese und der ökologische Kontext ihrer Entstehung im Vordergrund. Wenn die ersten Zellen an Hydrothermalquellen entstanden sind, müssen sie nicht notwendigerweise bereits über Cytochrome verfügt haben, aber für die ersten Schritte ins Leben außerhalb, in der freien Wildbahn, waren Cytochrome womöglich essenziell. Diese These soll genauer beleuchtet werden, damit wir die Bedeutung der Cytochrome im Kontext der frühen Evolution besser verstehen.

Einen ERC-Grant zu erhalten, gelingt nicht jedem: Die Erfolgsquote der aktuellen Ausschreibung lag bei gerade einmal 7,5 Prozent. Sie konnten jetzt bereits den dritten Grant einwerben – was zeichnet Ihre Vorhaben aus?

Es ist richtig, dass die Antragstellung beim ERC mit sehr hohen Anforderungen verbunden ist. Ein entscheidender Begriff, der ausführlich bei den Hinweisen zur Antragstellung erläutert wird, ist groundbreaking, d.h. der Antrag sollte Forschungsarbeiten beschreiben, die deutlich über den Stand der Forschung hinausgehen, ohne jedoch den festen Bezug zum Fundament des Bekannten zu verlieren. Ferner sollen die geplanten Arbeiten high risk, also risikobehaftet sein. Dafür sollen die anvisierten Erkenntnisse high gain sein, d.h. das Gebiet entscheidend voranbringen. Diese Vorgaben lassen uns bei der Antragstellung keine Wahl: Man muss die wichtigsten anstehenden Fragen auf dem Gebiet explizit und verständlich benennen, dazu dann den konzeptionellen Hebel von Anlage und Ansatz so setzen, dass wir Gefahr laufen, wirklich Neues zu lernen. Die Anträge sollen zudem im Idealfall so formuliert sein, dass ein möglichst breiter Leserkreis auf Anhieb versteht, inwieweit die geplanten Arbeiten bei einem erfolgreichen Ausgang den Stand der Forschung (state of the art) versetzen könnten. Im letzten Punkt – Allgemeinverständlichkeit bei Einhaltung wissenschaftlich korrekter Formulierung – kann sehr viel Arbeit stecken, zumindest auf meinem Gebiet der frühen Evolution. Mein Arbeitsgebiet hat jedoch einen kleinen Vorteil darin, dass sich fast alle Menschen in irgendeiner Weise für die Frage interessieren, wie das Leben entstehen konnte. Mein Ansatz war es bisher, stets die Mikrobenphysiologie als das eigentliche Explanandum beim Ursprung des Lebens in den Vordergrund zu stellen. Diesen Ansatz halte ich nach wie vor grundsätzlich für richtig. Man kann endlos darüber debattieren, was das Leben ist. Was Mikrobenphysiologie ist, muss man nicht debattieren. Sie ist eine Beobachtung, man hat sie zu akzeptieren. Und so kommt man im Text ganz schnell zur Sache. Mikrobenphysiologie ist auch von sich aus interessant zu lesen, seit jeher war das so. Man muss jedem Mitglied des Gutachtergremiums – Personen ganz unterschiedlicher Fachspezialisierung – einen Grund geben, den Antrag sorgfältig weiterzulesen. Wissenschaftlich fundierten, aber dabei durchgehend interessanten Text liest jeder gern.

Ihre Forschung blickt vier Milliarden Jahre zurück in die Vergangenheit – lassen sich aus den Ergebnissen trotzdem Erkenntnisse für die Zukunft ableiten?

Ja. Man muss aber stets die Augen offenhalten. Wir haben gerade in diesen Tagen bei der Untersuchung des Ur-Stoffwechsels ein hochkonserviertes, bisher unerkanntes Prinzip in der Energieaufteilung bei allen Zellen entdeckt. Dieser Befund hat eindeutige Beziehung zur Krebsdiagnostik und -prognose, sogar zum Wirkmechanismus einiger neuer Therapeutika.

Sie wurden in den USA geboren, sind aber schon lange in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen tätig. Was schätzen Sie an Nordrhein-Westfalen?

Eine feste Arbeitsstelle, die ich per Fahrrad erreichen kann, ein hervorragendes Team an Mitarbeitern (ohne sie ginge gar nichts) und die Menschen.