Dogmatisches Lehren in der katholischen Kirche: sein Wahrheitsanspruch und sein Kompromisscharakter

Prof. Dr. Michael Seewald, Universität Münster

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich eine die katholische Kirche bis heute prägende Form, um das, was Mitglieder dieser Kirche glauben sollen, darzustellen: die Form dogmatischen Lehrens. Dogmatisches Lehren geht davon aus, dass die normativen Vorgaben des Glaubens, wie sie sich in der Schrift und der Tradition der Kirche finden, mehrdeutig seien, und dass diese Mehrdeutigkeit wiederum nach einer vereindeutigenden Tätigkeit des durch den Papst und die Bischöfe ausgeübten Lehramtes verlange. Der Vortrag betrachtet den Wahrheitsanspruch, der mit dogmatischem Lehren verbunden ist, und zeigt dessen Grenzen auf. Im Gespräch mit neueren kulturwissenschaftlichen Forschungen zum Phänomen des Kompromisses wird die bereits von Henri de Lubac aufgeworfene Frage nach den „sozialen Aspekten des Dogmas“ erneut gestellt und erwogen, welche Folgen der Kompromisscharakter dogmatischen Lehrens für die Normativität kirchlicher Lehrentscheidungen haben könnte.

Prof. Dr. Michael Seewald, geboren 1987 in Saarbrücken, ist Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte sowie Sprecher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ an der Universität Münster. Er ist Träger mehrerer Wissenschaftspreise, u.a. des Heinz Maier-Leibnitz-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Karl-Rahner- Preises für theologische Forschung. Zuletzt ist von ihm „Theories of doctrinal development in the Catholic Church“ (Cambridge University Press 2023) erschienen.

Prof. Dr. Michael Seewald ist seit 2023 Ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.