DNA-kodierte Molekülbibliotheken – der Problemlöser in der Arzneistoffforschung?
Prof. Dr. Andreas Brunschweiger, Universität Würzburg
Arzneistoffentwicklungsprogramme starten mit der Identifizierung von neuen Wirkstoffen. Die bis dato produktivste Technologie zur Wirkstoffsuche ist das Screening von großen Molekülbibliotheken auf aktive Moleküle in zellulären oder anderen funktionalen Testsystemen. Diese Technologie ist allerdings extrem resourcenintensiv und steht daher nur wirtschaftlich potenten Organisationen wie großen Pharmafirmen regelmäßig zur Verfügung. Seit den frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wird an der Technologie der DNA-kodierten Molekülbibliotheken, englisch DNA-encoded libraries, DEL, geforscht. Diese beruhen darauf, dass jedes einzelne Molekül einer Molekülbibliothek mit einem individuellen DNA-Barcode identifizierbar gemacht wird. Diese hat den Vorteil, dass sehr große Molekülkollektive als komplexe Gemische auf biologischen Zielstrukturen, wie zum Beispiel Proteinen, höchst effizient auf Wirkstoffe getestet werden können. Wirkstoffe werden dann anhand ihres DNA-Barcodes identifiziert.
Leider hat die DEL-Technologie, obgleich mittlerweile sehr breit eingesetzt, bislang nur zu wenigen Arzneistoffentwicklungskandidaten geführt. Mögliche Ursachen können in der Chemie, die zum Aufbau von DELs genutzt wird, liegen, oder auch darin, dass man das System zu einer nur noch schlecht handhabbaren Komplexität entwickelt hat. In unserer Forschung haben wir das mögliche und tatsächlich sehr enge Spektrum an Synthesemethoden für DELs untersucht, das von DNA-Barcodes überhaupt toleriert werden kann. Wir haben dann ein neues DNA-Kodiersystem entwickelt, das chemisch stabilisierte DNA- Barcodes nutzt und so das Spektrum an Synthesemethoden für das Bibliotheksdesign erweitert. Wirkstoffscreens mit neuen Bibliotheken führte zu Wirkstoffkandidaten, die ein Tumortarget adressieren.
Prof. Dr. Andreas Brunschweiger ging nach dem Studium der Pharmazie in Kiel und der Approbation als Apotheker in Schleswig-Holstein 2003 in den Arbeitskreis von Prof. Christa Müller am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn, um eine Doktorarbeit im Fach Medizinische Chemie anzufertigen. Der Doktorarbeit folgte ein Postdoc-Aufenthalt in der gleichen Arbeitsgruppe, um in Zusammenarbeit mit der belgischen Pharmafirma UCB Pharma Wirkstoffe gegen neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln. Im Jahr 2010 wechselte er in den Arbeitskreis von Prof. Jonathan Hall an die ETH Zürich.
Dort entwickelte Andreas Brunschweiger eine Technologie, um die Interaktionspartner von microRNAs, kleinen regulatorischen RNA-Sequenzen, in Zellen zu identifizieren. Diese Technologie gab Einsicht in bis dato wenig beschriebene Gen-Regulationsmechanismen durch microRNAs. Von 2013 bis 2022 leitete er eine Forschungsgruppe an der TU Dortmund. Die Forschergruppe beschäftigte sich mit der Technologie der DNA- kodierten Bibliotheken (DEL, DNA-encoded library). In diesem Feld bearbeitete er ein breites Spektrum an Fragestellungen. Diese betrafen die Entwicklung von neuen DNA- Kodierstrategien, die Entwicklung von Synthesemethoden, die ein breites Spektrum an Molekülstrukturen zugänglich machen sollen, das Screening der DELs, um neue Wirkstoffe zu finden, und die Entwicklung von Computergestützten Methoden zur Molekül- identifizierung aus großen Sequenzierdatensätzen. Die Forschungstätigkeit führte zu intensiven Kooperationen mit der Pharmazeutischen Industrie und zur Ausgründung der Firma Serengen GmbH in Dortmund.
Seit Anfang 2023 ist Andreas Brunschweiger Professor und Lehrstuhlinhaber für Pharmazeutische Chemie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Arbeitsgruppe forscht weiterhin an den DNA-kodierten Molekülbibliotheken, darüber hinaus aber auch an neuen Wirkstoffklassen, und als sehr neues Thema für den Arbeitskreis an mRNA- Wirkstoffen und neuen Methoden der Formulierung von mRNA.