Die Genesis-Frage: Warum wollen wir eigentlich wissen, wie alles angefangen hat?
Prof. Dr. William F. Martin, HHU Düsseldorf
Die Frage nach dem Ursprung des Lebens wird oft als die größte offene Frage der Wissenschaft präsentiert. Das ist sie nicht. Genau genommen, ist sie noch nicht mal wichtig. Sie ist aber womöglich die einzige Frage der Wissenschaft, deren Antwort jeden Menschen tatsächlich interessiert. Wieso? Jede menschliche Kultur überliefert eine Erzählung über den Ursprung der Dinge: Woher kommen die ersten Menschen, woher kommen die Tiere und die Pflanzen, woher stammt die Welt um uns herum? Die Erzählungen verschiedener Kulturen unterscheiden sich. Sie sind nicht Abwandlungen ein und derselben überlieferten Ur-Erzählung, sondern sie sind grundverschieden und unabhängig voneinander entstanden. Oft sind Wesen mit übernatürlichen Kräften am Ursprung der Dinge beteiligt. Diese Erzählungen sind möglicherweise so alt wie die Sprachen der Menschen selbst. Die Wissenschaft ist auch eine Art Kultur. Daher haben Wissenschaftler auch Erzählungen über den Ursprung, und zwar nicht nur eine. Genauso wie die verschiedenen Kulturen unterschiedliche Genesis-Erzählungen pflegen, haben Physiker, Chemiker und Biologen ihre eigenen Erzählungen zum Ursprung des Lebens in der Sprache und in den Begrifflichkeiten ihres Faches verpackt, um die Frage in der Fachsprache zu beantworten. Der Mensch hat offensichtlich ein ureigenes Interesse daran, seine Herkunft bis hin zum Ursprung des Belebten zu kennen. Wieso?! Wieso wollen wir überhaupt wissen, woher das Leben stammt? Ist es deshalb, weil die Dinge, die wir nicht erklären können, uns Angst bereiten (das tun sie), mit der Folge, dass eine Erklärung hermuss, egal wie? Hängt es mit unserer Vorstellung der Zeit zusammen, dass der Anfang unseres gedanklichen Zeitstrahls nicht im Dunkeln, oder gar im unvorstellbaren Unendlichen, beginnt? Auf diese Frage suche ich Antwort. Bestimmt wissen die Mitglieder der Akademie mehr. Deshalb soll der Vortrag kurz sein, dafür die Diskussion lang.
William F. Martin received his undergraduate (diplom) degree in biology 1985 from the Technische Universität Hannover and his Ph.D. in Genetics 1988 from the Max-Planck-Institute for Breeding Research in Cologne on molecular evolution. He completed postdoctoral work at the Technische Universität Braunschweig with a habilitation on the evolution of primary metabolism. Since 1999 he has held a chair in Biology at the University Düsseldorf as head of the Institute of Molecular Evolution. Author of more than 350 scientific publications that have been cited over 46,000 times, he has served as referee for 135 different journals, 50 different funding agencies, as editor for 16 different journals and as panelist on various advisory boards. In 2008 he became an Elected Fellow of the Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, he also holds membership in the American Academy for Microbiology, the European Molecular Biology Organisation, and is a Corresponding Foreign Member of the Accademia delle Scienza di Bologna. His distinctions for work on molecular evolution include the Heinz-Maier-Leibnitz Prize of the Deutsche Forschungsgemeinschaft in 1990, a Julius von Haast Fellowship from the New Zealand Ministry for Science in 2006, the 2017 Spiridion Brusina Medal of the Croatian Society for Natural Sciences, a Distinguished Lectureship Award from the Ministry of Science and Technology of Taiwan, the Klüh Foundation Award for Science and Research in 2018, and the 2023 Motoo Kimura Award of the Motoo Kimura Trust Foundation (Japan). Since 2009 his work has been funded by three Advanced Grants from the European Research Council. His main scientific interests are chemical and biochemical evolution, microbial evolution, and early evolution including the origin of microbial cells from rocks and water on the early Earth.